Zürcher Festspielpreis 2020 für Antje Schupp



Ich freue mich sehr über die Verleihung des Zürcher Festspielpreises und damit die Möglichkeit das spartenübergreifende Projekt REVUE 2020 in Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Zürich, Schauspielhaus Zürich und den Festspielen Zürich entwickeln und umsetzen zu können. REVUE 2020 ist ein Mix aus Revue, Requiem, (Musik)Theater und Film, ein tragikomischer Abgesang auf die 2020er.



Porträt über Antje Schupp in der NZZ von Daniele Muscionico



Kritik "Mehr Vulkan geht nicht" über REVUE 2020 auf nachtkritik.de




©privat


Volltext des Porträts von Daniele Muscionico (ohne Zugangsbeschränkung)



Das Schauspiel war nie spielerischer als mit Antje Schupp

Mit ihrer Theaterarbeit erobert die Regisseurin neue Formate für die Bühne – und neue Bühnen für alte Formate. Nun erhält sie den Zürcher Festspiel-Preis.

Die Frau, die man mit gebotenem Sicherheitsabstand persönlich trifft, zuckt die Schultern. Antje Schupp hat das alterslose Gesicht einer Sphinx, die überraschende Gelassenheit einer Doyenne, doch angesprochen auf Ruhm und Ehre sowie die prominente Ahnengalerie von Künstlern, in die sie sich als Festspiel-Preisträgerin einfügt, ist sie erst einmal sprachlos.

Die 37-jährige Regisseurin, Performerin und Autorin weiss nicht, dass sie mit ihrer Auszeichnung in einer Reihe steht mit Peter von Matt, Pipilotti Rist, Anna Viebrock oder mit dem grossen Komponisten György Kurtág. Ihre Überraschung ist echt, ihre Offenheit entlarvend. Ihre Unwissenheit ist ein Beleg für Authentizität.

Denn sie hat ja recht. Künstlerische Vorväter und Urmütter müssen nicht sein, wenn eine das Theater so persönlich und doch so spielerisch betreibt wie Antje Schupp. Ihr Blick auf die Welt bestimmt, was dringlich auf die Bühne muss. Und erst dann wird gefragt: Will ich damit in eine Tiefgarage, packe ich das Thema in einen Club der LGBTIQ-Community – oder auf eine klassische Opernbühne. Erst im Februar hat sie die Uraufführung «Der Konsul» von Gian Carlo Menotti in der Augsburger Philharmonie inszeniert; es war ein Stück zeitgenössisches Musiktheater, das sie als politische Parabel über Polizeiterror, Diktatur und Bürokratie zeigte.

Die Kraft der Gemeinschaft

Antje Schupp stammt aus München, hat einen akademischen Schliff in Theater-, Film- und Medienwissenschaft und steht für einen Kunstbegriff, der weiter zurückgeht als auf einen Kanon. Regietheater, was war das noch mal? Theater hat sich in den letzten Jahren in Bezug auf die Formate, die Stile und die Räume, in denen es stattfindet, massiv verändert – auch dank der Arbeit von Antje Schupp.

Sie vertritt die Generation von Theaterschaffenden, die Autorin und Werk in einem sind. Ihr Theater findet zurück zu seinen gesellschaftspolitischen und aktivistischen Wurzeln – und entdeckt seinen wichtigsten Partner wieder, das Publikum. Schupp möchte für die Zuschauer «ein Erlebnis schaffen». Und dieses ist mitnichten ein hipper Event. Weit mehr hält sie von der klassischen «Gemeinschaft» und sucht mit dem Publikum den «gemeinsamen gedanklichen Austausch».

Seit rund zehn Jahren macht die Künstlerin mit ihrer Erzählweise international auf sich aufmerksam. Sie denkt in ihrer Arbeit politisch, mal weniger explizit, mal mehr, und wenn immer möglich spartenübergreifend. So arbeitet sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern eines Basler Altenheims und interessiert sich für deren Biografie, doch genauso kann sie es – so für die Festspiele – mit professionellen Sängerinnen und Sängern der Oper Zürich. Sie sagt mit festem Ton, und es gibt daran nichts zu kratzen: «Es entspricht meiner Lebenseinstellung, dass ich glaube, im Austausch und im gegenseitigen Zuhören liegt ein sehr grosses Potenzial.»

Schupp steht für einen offenen Kunstbegriff – das kann auch eine Sozialperformance sein oder etwas in der Art des Aktionstheaters von Christoph Schlingensief –, man soll und kann sie nicht auf eine Handschrift reduzieren. Doch bei allen unterschiedlichen Formaten, die sie bespielt, Sparten und Genres, die sie aufmischt, mit einem darf das Publikum in froher Zuversicht immer rechnen: Sie geht – mit klaren Bildern und Haltungen – entschieden zur Sache.

2020: Revue oder Requiem?

«Party, Protest und Performance» war die Parole von Schupps vielleicht persönlichster Arbeit, die Rassismus und Diskriminierung behandelt. Als offen lesbisch lebende Frau hat sie schon erlebt, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aggressiv angesprochen oder sogar bespuckt zu werden: «Ja, auch in der Schweiz.» Sie reagierte darauf mit einer internationalen Koproduktion namens «Pink Money», in deren Zentrum die Gewalterfahrungen lesbischer Künstlerinnen in den Townships von Johannesburg stehen. Das Publikum findet sich an diesem verstörenden Abend in einem queeren Klub wieder, die Bässe wummern, es wird getanzt und gestrippt, der Schnaps reicht für alle. Dicht an dicht steht man mitten im Geschehen, als die Party plötzlich in einen Gewaltakt umschlägt, einen Mord. Die Arbeit sei ein «Segen der Queerness», schrieb die Kritik.

Antje Schupp weiss, wie es sich anfühlt, auf unsicherem Boden zu stehen. Ihr Sensorium für gesellschaftliche Sollbruchstellen ist ausgeprägt. Davon lebt auch ihre Produktion für die Festspiele, ein filmischer Essay mit dem Titel «Revue 2020 – Zurück ist die Zukunft». Mit ihm will sie die Ambivalenzen unserer Gegenwart zeigen und stellt die Frage: «Welchen Tanz auf dem Vulkan führen wir in Zukunft auf? Sind wir in Weltuntergangsstimmung oder in einer Aufbruchsstimmung?» Die Arbeit, die sie mittels des Preisgeldes entwickelt hat, ist ein futuristisches Musiktheater, changierend zwischen einer Revue und einem Requiem. Emotionen sind zu erwarten, Rauschzustände mindestens. Doch ohne Zuversicht geht Zukunft nicht, Antje Schupp sieht es so: «Kunst kann Hoffnung geben. Oder, auch wenn das verträumt klingen mag: Freude zu schenken ist genauso legitim.»