Time of my Life



Premiere am 23. November 2018 um 19h beim
Wildwuchs Festival Basel, @Pflegehotel St. Johann


weitere Aufführungen am 24. November 15h (Podiumsdiskussion um 13.30h) & 25. November 15h



@Manuel Bürkli


mit: Frau Dreyer, Frau Furrer, Frau Grieder, Frau Kocher, Frau Mayer, Frau Roth, Frau Studer, Herrn Sutter, Frau Trummer sowie Frau Borer, Frau Kircher und Herrn Mayer


Konzept / Text / Regie: Antje Schupp
Ausstattung: Christoph Rufer
Dramaturgische Mitarbeit: Beatrice Fleischlin
Fotos und Buchgestaltung: Manuel Bürkli
Produktion: born2perform und Wildwuchs Festival


Mit der großzügigen Unterstützung von Kultur Basel-Stadt, Christoph Merian Stiftung, Kultur Inklusiv




"Verstehen kann man das Leben rückwärts. Leben muss man es vorwärts."


Time of my Life bietet Senior*innen des Pflegehotels St. Johann die Möglichkeit in Zusammenarbeit mit einem professionellen künstlerischen Team ihre Memoiren zu schreiben. Diese werden zusammen mit einem Graphiker zu einem kleinen Büchlein verfasst, das gedruckt wird und behalten werden kann. Das Publikum kommt zu drei Aufführungen in das Pflegehotel St. Johann bzw. in das "Café Oldsmobile". Dort setzt man sich an wechselnden Tischen zu den Senior*innen, die in jeweils 10 minütigen Runden eine Memoire aus ihrem Leben erzählen oder das Publikum auf eine kurze Tour durch das Haus nehmen. Auch Mitarbeiter*innen des Pflegehotels können teilnehmen. Das Publikum erfährt darüber, welche Philosophie hinter der Einrichtung steht. Ein Projekt über das Leben und über die letzte Phase des Lebens.


Auszüge aus dem Buch




©Manuel Bürkli


Herr Sutter
Ich wurde 1931 in St. Louis geboren. Meine Familie gehörte der deutschsprachigen Minderheit im Elsass an und auch heute noch spreche ich besser deutsch als französisch. Obwohl ich den grössten Teil meines Lebens in der Schweiz gelebt und gearbeitet habe, besitze ich nicht den Schweizer Pass. Den Versuch, ihn zu beantragen, habe ich ein Mal unternommen. Als ich sah, was alles dafür verlangt wird, habe ich es sein lassen. Ich bin sowieso apolitisch, Wahlen interessieren mich nicht. Also blieb ich Franzose.

Demnach wurde ich auch zum französischen Militär eingezogen. Das war nach meiner Ausbildung in Riehen. Ich habe mich zunächst für drei Jahre verpflichtet, denn ich konnte über das Militär eine Weiterbildung machen. Nach gut einem Jahr sagte mein Ausbildner zu mir: „Sie sind klug und geschickt, aber Sie sprechen grässlich französisch. Wenn Sie das aufmöbeln, dann könnten Sie sich bei uns auf Elektro- und Instrumentenmechanik spezialisieren. Dafür müssten Sie sich allerdings fünf Jahre lang verpflichten.“ In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich das tatsächlich gemacht.

Zu dieser Zeit – 1953 – führte Frankreich Krieg gegen Vietnam, das sich unabhängig machen wollte, und ich wurde auf den Flugzeugträger Arromanches versetzt, der vor der Küste Vietnams Start- und Landepunkt für Angriffe auf dem Land war. Einen Monat dauerte die Reise, über ein Jahr war ich dort. Ich habe von Vietnam leider nicht sehr viel gesehen, die meiste Zeit musste ich auf dem Flugzeugträger sein. Ich war dafür zuständig, die Kampfflieger instand zu halten und nach der Landung mit den Piloten zu sprechen, ob es Probleme gegeben hätte. Ich habe noch ein Erinnerungsalbum, das die französische Marine herausgegeben hat. Darin ist auch ein Foto meiner Staffel, der 11. Flugstaffel, aber ich kann mich nicht darauf entdecken.
(...)


Frau Mayer
Bevor ich ins Pflegehotel umgezogen bin, habe ich 94 Jahre lang am Luzerner Ring gewohnt. Dort bin ich geboren und dort, dachte ich, würde ich auch sterben. Von wegen.

Als ich aufwuchs, spielten wir Kinder oft Völkerball. Wir spannten ein Seil über die Strasse und alle halbe Stunde kam mal ein Auto vorbei. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Wo jetzt das Felix Platter-Spital steht, waren früher die Stadtgärtnerei und davor Bauernhöfe, bei denen wir Schlitten fuhren. Nur das alte Zollhaus gibt’s noch.

So richtig eingelebt habe ich mich im Pflegehotel noch nicht, obwohl mein jüngster Sohn hier der Leiter ist und ich ihn täglich sehe. Auch mein Mann wohnt hier. Als ich neulich gefragt wurde, was ich von Zuhause hierher mitgenommen hätte, antwortete er lachend an meiner Stelle: „Mich hat sie mitgenommen!“ Wir wohnen allerdings nicht mehr zusammen in einer Wohnung – und das nach 67 Jahren Ehe! Bis vor Kurzem wohnten wir sogar noch auf getrennten Stockwerken. Neulich ist die Person im Zimmer neben mir gestorben und mein Mann konnte dort einziehen. Des einen Pech ist des anderen Glück. Im Alter wird man pragmatisch.
(...)


Frau Roth
(...)Ich habe mich beruflich hochgearbeitet, darauf bin ich stolz. In Deutschland hatte ich als Kindergärtnerin gearbeitet. Als ich aber in die Schweiz kam, durfte ich nur einen Beruf ausüben: Putzfrau. Das habe ich lange gemacht. Irgendwann fühlte ich: Du musst etwas anderes tun. Ich wechselte zu einer Stelle im Röntgenarchiv. Dort habe ich dann zehn Jahre lang Röntgenbilder sortiert. Auch dort merkte ich irgendwann: Du bist nicht mehr glücklich, du musst dich neu orientieren. Und gerade, als ich darüber nachdachte, wie meine berufliche Veränderung aussehen könnte, sprach mich eine Kollegin aus der Krankenpflege an: „Warum machst Du nicht das? Du könntest das gut.“

Also habe ich mit 45 Jahren noch eine zweijährige Ausbildung zur Krankenpflegerin gemacht. Danach bin ich richtig aufgeblüht. Noch später, mit 58 Jahren, habe ich eine weitere „Fortbildung“ gemacht: den Führerschein. Als ich schon pensioniert war, fällte ich eine der besten Entscheidungen meines Lebens: Ich nahm die Anfrage an, auf ein kleines Kind aufzupassen, wenn dessen Eltern arbeiten mussten. Dieses Kind wurde meine „Enkelin“ und ist es heute noch.

Ich habe oft im Leben das Glück gehabt, zuerst eine gute Intuition und dann im richtigen Moment den Mut zur Entscheidung gehabt zu haben. Manchmal kam, wie diese Kollegin, noch ein Impuls von aussen dazu. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich mich ausgeglichen fühle: Zufriedenheit hat unter anderem mit dem Gefühl zu tun, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Ich glaube aber auch, dass jeder von uns sein Schicksal hat. Manches ist einfach vorgeschrieben. So empfinde ich das zumindest.
(...)


Frau Furrer
Ich bin ein freches Stück. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Damit mache ich mir nicht immer nur Freunde, aber wenigstens bin ich ehrlich. Das Leben muss Spass machen. Wenn es keinen Spass mehr macht, soll man aufhören. Hier im Pflegehotel gibt es aber einige Frauen, die sehr bibeltreu leben. Sie sind so fromm, dass schon lachen eine Sünde ist. Da krieg ich die Krise! Ich bin auch gläubig, aber nicht so. Ich frage mich manchmal, wie sie bei so viel Frömmigkeit zu ihren Kindern gekommen sind.

Ich lache gerne, obwohl ich nicht immer viel zu lachen hatte. Seit ich 35 bin, habe ich Diabetes und muss spritzen. Die Krankheit liegt bei uns in der Familie. Vor zehn Jahren hatte ich auch noch einen Schlaganfall und war halbseitig gelähmt. Da war ich gerade erst Anfang 60. Ich konnte nicht mehr laufen, konnte gar nichts mehr alleine machen. Ich musste für mehrere Wochen in die Reha und habe dort Stück für Stück wieder gehen gelernt. Es war die Hölle und unglaublich anstrengend. Mein Mann war völlig überfordert und überhaupt keine Hilfe. Weder in der Reha noch später zu Hause. Aber ich bin Gott sei Dank nicht nur frech, sondern habe auch einen starken Willen. Ich dachte mir: Es darf nicht sein, dass ich nicht mehr laufen kann. Und hab mich durchgebissen.

Wie ich meinen Mann kennengelernt habe war ein lustiger Zufall: Ich war Erzieherin und passte eines Tages etwas länger als gewöhnlich auf seine Kinder auf. Er war Witwer und als er seine Kinder abholte, trafen wir uns. Nur wenige Monate später heirateten wir und ich wurde Stiefmutter. Wenn ich gewusst hätte, was das alles mit sich bringt, hätte ich es mir vielleicht noch einmal überlegt. (Sie lacht) Auf einen Schlag hatte ich also eine Familie. Ich erinnere mich sogar noch daran, was ich als erstes gemeinsames Essen für uns vier gekocht habe: Bratwurst, Hörnli und Salat. Später haben wir noch eine gemeinsame Tochter bekommen.
(...)



@Manuel Bürkli

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 Herr Sutter, @Manuel Bürkli     
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 Frau Trummer, @Manuel Bürkli     
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 Frau Mayer, @Manuel Bürkli     
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 Fr. Studer &Fr. Grieder, ©M.Bürkli     
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 Frau Roth, ©Manuel Bürkli     
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 Frau Kocher, @Manuel Bürkli     
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 Frau Furrer, ©Manuel Bürkli     
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 Frau Dreyer, ©Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli   Frau Schupp und Frau Mayer 
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli   Frau Studer im Gespräch 
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli     
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 @Manuel Bürkli